J. A. Weppen: »Eine Warnung gegen die Bücherschmarotzer«

Die Welt der Bücher., Transkripte historischer Texte, Zur Sache »Buch«.

(277) Es giebt eine gewisse Art Menschen, die gern alles Neue und Schöne, was herauskomt, lesen, aber selbst keine Bücher kaufen, noch Lesegesell(278)schaften, weil sie Geld kosten, beitreten mögen, – eine Art Bücherschmarotzer, die sich bei jeder ihrer Bekanten, der Bücher hat, einnisten. (279) Besonders sind neue Romane, Lust- und Trauerspiele, Journale, Reisebeschreibungen, Gedichte, und andere schöngeisterische Produkte die Geistesnahrung, wornach sie lüstern sind. Wissenschaftliche Bücher aber, und alle Bücher ernsten systematischen Inhalts sind zum Glück nicht nach dem Geschmack dieser Gnathone. Ich nehme einige bücherlose Advokaten aus, die gern ihre Schriften mit vielen Allegaten verbrämen mögen, und diese aus geliehenen Büchern ziehen, – den Hummeln gleich, die sich mit fremdem Honig behelfen. – Ist ein Freund so gutherzig, oder, wie das manchmal der Fall ist, so eitel, jener Art Menschen seinen Büchervorrath zu zeigen, so stehet ihnen gleich dieses und jenes an. Sie packen ihre Taschen voll, der Freund mags gerne sehen oder nicht, versprechen die Bücher bald wieder zu schicken und sauber damit unzugehen. Dann lesen sie mit großer Begierde. Ist aber ihr Appetit gestillt, haben sie das Buch durchgelesen oder nicht nach ihrem Geschmack gefunden, dann vergessen die Undankbaren das Wiedersenden. Es liegt da mit Staub bedeckt, wird verpoltert, oder, welches noch ärger ist, wohl gar an andere verliehen. Hat das Buch ihnen Vergnügen gemacht, so wollen sie auch ihren Bekanten dieses Vergnügen mittheilen. Crispinisch freigebig sind sie, diese Bücherschmarotzer mit fremden Gut. Sie disponiren darüber als über ihr Eigenthum. Das Buch geht als eine (280) feile Meze Hand in Hand, und komt entweder gar nicht, oder erst nach langen Umherschweifen zu seinem rechten Herrn zurück. Und wie komt es zurück? In einem unsaubern, abgenutzten Kleide, mit Tabacksdampf durchräuchert, mit Oelflecken und andern Unsauberkeiten mehr besudelt. Kann der Eigenthümer es in dieser schmuzzigen Gestalt nicht leiden, so muß er die Kosten anwenden, es neu kleiden zu lassen. Wie manches meiner Bücher hat durch diese Wanderschaft eine neue Bekleidung mir abgedrungen! Ein Glück ist es, wenn der Schmutz noch beim äußern Bande geblieben. Oft ist das Inwendige des Buches angegriffen, ja gar defect und titellos gemacht. Oft komt das Buch gar nicht wieder, und wenn der Eigenthümer, ein Geschäftsmann, vergessen hat, wem er es geliehen, wenn er nicht pünktlich die Regel beobachtet, es jedes mal sogleich anzuschreiben, oder von dem Empfänger sich einen Zettel geben zu lassen, den er unterdessen in die leere Stelle legt, so ist es noch schlimmer für ihn. Seine Bibliothek bekomt hin und wieder Lücken. Anstatt, seiner Lieblingsneigung gemäß, seinen Büchervorrath zu vermehren, komt er wieder rückwärts. Er hätte manches Buch selbst gern noch einmal gelesen. Aber es ist nicht mehr da. Oft, welches das verdießlichste von allem ist, bleiben einzelne Bände ganzer vollständiger Werke auf Reisen, und verringern auch den Werth der Zurückgebliebenen. Wie (281) manchmal findet man in den Anzeigen und Intelligenzblättern, daß der Eigenthümer oder dessen Erben dieses oder jenes Werk, diesen oder jenen einzelnen Theil eines Buches vermissen, und den, der es in den Händen hat, recht inständig bitten, daß er doch die Güte haben und das Buch wieder herausgeben möge, daß er aus bloßer Gefälligkeit zum Durchlesen erhielt. Und dieser Undankbare rührt sich nicht, denkt, es ist längst vergessen, schämt sich auch nunmehro wohl, spät eine Pflicht zu erfüllen, die er unerinnert hätte erfüllen sollen.

Ich kann nicht begreifen, wie Jemand sich ermächtigen kann, ein geliehenes Buch wieder an andere zu verleihen. Nimt A. sich diese Freiheit, ein fremdes Buch, ohne des Eigenthümers Einwilligung dem B. zum Durchlesen zu überlassen, so kann B. solches mit eben dem Recht an C., dieser an D., dieser an E., und so immer weiter, das ganze Alphabet durch, verleihen. Der Eigenthümer mag dann sehen, wie er wieder zu dem Seinigen gelangt.

Es ist mir einst in der Gegend des Harzes, ein bereits ziemlich abgenutztes, obgleich noch neues und gutes Buch zum Durchlesen aufgedrungen, dessen Eigenthümer, laut der Inschrift, in Hannover war. Von da war es, nach mündlicher Überlieferung, nach Celle, von da nach Braunschweig, von da nach Wolfenbüttel, mit Einschluß mancher dazwischen liegender Flecken und Dörfer, und endlich in (282) diese Gegend gekommen, allenthalben gelesen, allenthalben abgenutzt, und hat wahrscheinlich seinen Herrn nie wieder gesehen.

Abgenutzt werden die Bücher bei jedem noch so vorsichtigen Gebrauch immer etwas, obgleich unmerklich. Sind sie aber erst fünf, sechs mal verliehen, dann kann mans deutlich spüren.

Giebt der gequälte Eigenthümer einer Bibliothek sich die unbelohnte, oder wie man’s nehmen will, wohl belohnte Mühe, es jedesmal sorgrfältig in sein Denkbuch einzuzeichnen, daß er dieses oder jenes Buch an den und den verliehen habe: so hilft’s ihm doch manchmal nichts. Gezählte Schafe frißt der Wolf auch, und angezeichnete Bücher bleiben auch aus. Der Empfänger hat sie verlegt, bei unsichrer Gelegenheit wieder geschickt, oder hat diese und jene Entschuldigung. Nicht zu gedenken, daß das stete Anschreiben und Anstreichen einem Geschäftsmann oft sehr unbequem fällt. Er sitzt z. E. zwischen den Akten, den Kopf voll Ideen, die keine Interruption vertragen. Auf einmal wird er unterbrochen. Herr – Madam – Mamsell– läßt ihre Empfehlung machen, und schickt da das Buch wieder, läßt sch gehorsamst bedanken und läßt sich den folgenden Theil ausbitten. – Nun, marsch, hin, und das Buch aufgesucht, das wiedergesandte hingestellt, das Denkbuch aufgeschlagen, dieses ausgestrichen, jenes wieder eingeschrieben! Weg ist nun zwar der ganze Kram gesammleter Ideen; aber (283) das alles wird durch einen gehorsamsten Dank wieder gut gemacht.

Fern sey es von mir, menschenfeindlich alles Verleihen der Bücher zu widerrathen. Nur das Uebertriebene, das Zudringliche ist der Vorwurf meines Tadels. Eine Hand wäscht die andere. Der eine hat dies, der andere jenes Buch. Es ist unmöglich, daß einer sich alles das Neue, was die fruchtbaren Pressen erzeugen, und er wohl gern lesen möchte, anschaffen kann. Ein Buch ist nicht gedruckt, daß es just nur einmal gelesen werden soll. Gute Freunde im eigentlichen Verstande, nahe Anverwandte, oder die sonst in gewisser Verbindung stehen, mögen immerhin einander Bücher leihen. Ich habe nichts dagegen. Aber daß Menschen, die, außer daß sie Menschen sind, keinen Anspruch auf unsere Gefälligkeit machen können, so zudringlich verlangen, daß wir sie immer und immer mit Büchern unterhalten sollen, (die uns doch nicht umsonst gegeben werden) die sich selbst nichts anschaffen, die uns unsere Bücher noch dazu verderben und wieder verleihen, das ist es, was meinen ganzen Unwillen erregt. Dieses sind die Bücherschmarotzer, die ich meine, und die ich gern beschämen, und wo möglich, belehren mögte.

Giebt man ihnen zu verstehen, daß man ungern Bücher verleihe, weil man so manchen Schaden dadurch gehabt, so billigen sie diese Vorsicht, sagen aber gleich hinter her: Mir können Sie wohl ein Buch lei(284)hen. Ich gehe so gut damit um, und bin Ihnen so sicher, daß Sie nichts zu riskieren haben. Und das sagen denn funfzig andere eben so.

Manche wundern sich, daß man so eigensinnig ist, ihnen nicht immer mit Büchern aufzuwarten, welches doch, meinen sie, eine so geringe Gefälligkeit ist, die nichts kostet.

Ich spreche aus Erfahrung, und weiß, daß es manchem meiner Leser eben so geht. Wie manchen Brief haben ich schon geschrieben, um meine Bücher endlich wieder zu erhalten, und wie manches Buch habe ich schon dadurch eingebüßt. Diese üble Gewohnheit des übertriebenen Bücherleihens, oder, wie ich es nach der Analogie nenne, Schmarotzens, ist dem Buchhandel schädlicher als der Nachdruck.

Ich würde mich freuen, wenn dieser Aufsatz bei denen, die bisher gewohnt gewesen, sich bloß mit fremden Büchern zu behelfen, und die sich dabei aller der erzählten Fehler schuldig gemacht, das Gefühl der Scham erregte, daß sie, wenn sie Jemanden nun ein Buch ansprechen wollen, sich erst prüfen mögten: Was hast du für ein Recht, von dem Manne diese Gefälligkeit zu verlangen? Was hast du ihm für Dienste gethan? oder womit kanst du diese Gefälligkeit erwiedern? Ich würde mich freuen, wenn diese Prüfung von der Würkung wäre, sie zur Wiedererstattung vorenthaltener Bücher zu bewegen, und die Sekte der zudringlichen Bücherschmarotzer, wo (285) nicht aufhörte, doch sich verminderte, endlich auch die, welche Bücher haben, mehrere Vorsicht beim Verleihen gebrauchten.

Sind Abhandlungen von den In(286)sekten, die den Büchern schädlich sind, von Akademien mit Prämien gekrönt, so verdient dieses noch schädlichere Uebel, das Bibliotheken trift auch wohl einige Beachtung.

(Aus: Hannoverisches Magazin. 1785 , 23.Jg. , S. 277-286)

 

Live. Love. Be. Believe.

Eure Shaakai.